Die polnische Erfahrung

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Von Zeit zu Zeit kehrt das Thema, wie gut man im Ausland die polnische Geschichte, besonders die des 2. Weltkrieges kennt, in die Spalten der Zeitungen zurück. Im Allgemeinen herrscht die Meinung vor, dass das Wissen gering und selektiv sei, vor allem bei der jüngeren Generation. Es wird auf verschiedene Gründe verwiesen, u.a. auf Mängel in der Ausbildung. Aber gibt es für diese Behauptungen irgendwelche belastbaren Untersuchungen? Was wissen deutsche Schüler über dieses Thema?

Quelle: Polen im Zweiten Weltkrieg; Buch / Regie: Andrzej Klamt; Eine Produktion des Deutschen Polen-Instituts für die Internetplattform www.poleninderschule.de

Verlässliche Aussagen über das Wissen der Schüler in Deutschland zum Thema Polen zu treffen, ist nicht einfach. Es gibt lediglich Untersuchungen, die bestimmte Grenzregionen betreffen. In Kürze erscheint die Monografie von Sylwester Zagulski, die die gegenseitige Wahrnehmung der polnischen und deutschen Schüler im vergangenen Jahrzehnt präsentiert. Eines, der vom Autor behandelten Themen ist die Rolle und Bedeutung der Geschichte in den gegenseitigen Beziehungen.

Ähnliches gilt für die verwendeten Schulbücher. Vor einigen Jahren erschien die Monografie von Jörg-Dieter Gauger, der Lehrpläne und Schulbücher aus den Jahren 1990-2006 analysierte. Die Monografie inspirierte mich dazu mit einer Gruppe von Doktoranden diese Aufgabe fortzusetzen. Wir hoffen, dass wir in einigen Monaten erste Ergebnisse präsentieren können. Über die Darstellung des 2. Weltkrieges in deutschen Schulbüchern schrieb vor kurzem auch Katarzyna Woniak. Die Autorin hat die Schulgeschichtsbücher, die in Berlin und Bayern seit den 1980er Jahren benutzt wurden, untersucht. Zusätzlich beschäftigte sie sich auch mit Schulbüchern aus der ehemaligen DDR.

Aus ihrer Sicht unterschieden sich die Schulbücher aus den 1980er und 1990er Jahren deutlich von den aktuell verwendeten. Die Schwerpunkte waren damals anders gesetzt. Die Schulbücher der ersten Periode des berücksichtigen Zeitraums zeichneten ein Gesamtbild des 2. Weltkrieges, wobei ein besonderer Akzent auf der deutschen Besatzungspolitik gegenüber den unterworfenen Staaten lag. In diesen fanden sich typische Themen, wie z.B. der Überfall Deutschlands auf Polen, der Krieg mit dem Westen, der Angriff auf die Sowjetunion, die Besatzungspolitik und die Vernichtung der Juden.

Als eigenständiges Thema wurde der Widerstand behandelt. Der Holocaust war präsent, allerdings nicht als dominierendes Narrativ. Nach dem Jahr 2000 wurden in den Schulbüchern einige Schwerpunkte in Bezug auf die Darstellung des 3. Reiches und des 2. Weltkrieges verändert. Das dominierende Narrativ sind heute der Holocaust sowie die eigene nationale Identität.

Nur ausnahmsweise – schlussfolgert K. Woniak – tauchen Informationen über den Terror gegen die polnische Zivilbevölkerung auf, oft fehlt es an dem Kontext und der charakteristischen Dynamik des Wandels. (…) Der deutsche Abiturient besitzt heute Kenntnisse über den 2.Weltkrieg durch das Prisma des Holocausts und der nationalsozialistischen Diktatur, deren Opfer vor allem die deutsche Gesellschaft selbst gewesen sei. Es fehlt das Gesamtbild der deutschen Besatzung, die das Leben des Einzelnen bestimmte und die polnische Gesellschaft dezimierte.

Diese inhaltliche Entwicklung der Schulbücher kann einem überraschend vorkommen. Wo doch die Frage nach dem Schicksal des besetzten Polens mehrfach und in verschiedenen Formen in der Öffentlichkeit aufgegriffen wurde. Der wissenschaftliche Dialog, auch im Rahmen der Gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbuchkommission wurde fortgeführt. Warum hatte das keinen Einfluss auf die für die Schulbücher schreibenden Autoren, warum nicht auf die inhaltliche Gestaltung der Schulbücher? Dieses negative Bild, nur auf die Analyse der Schulbücher gestützt, ist aber nur eine Seite der Medaille.

Die knappe Behandlung des Themas Polen in den Schulbüchen, in dieser für die Nachbarschaftsbeziehungen wichtigen Sache, wurde nämlich zur Inspiration für viele Schulinitiativen. Sie setzen sich zum Ziel, verschiedene didaktische Materialien zu erarbeiten, von denen der Lehrer bei der Durchführung einer Unterrichtsstunde über Krieg und Besatzung profitieren könnte. Ich erwähne als ein Beispiel die Schulprojekte des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt.

Seit einigen Jahren wurden ergänzende Materialen veröffentlicht, deren Ziel es ist, das Wissen über Polen zu erweitern. Begleitet werden sie von einer Wanderausstellung, außerdem gibt es ein Internetportal (www.poleninderschule.de). Eine der Ausstellungstafeln zeigen wir mit Zustimmung des Instituts in diesem Artikel. Zudem weckt ein 8-minütiger Schulfilm, der sich der deutschen Besatzung in Polen widmet, großes Interesse bei den Schülern. Er ist ein interessantes Beispiel dafür, wie dieses Thema heute präsentiert und in Schulklassen umgesetzt werden kann.

Dies schützt nicht vor solchen Situationen, wie sie von mir bereits in Bezug auf das Schulbuch des Klett-Verlags beschrieben wurden [Verwendung des Begriffs „polnische Lager“]. Aber auch hier gab es in der letzten Ausgabe eine positive Entwicklung – die kritisierte Seite im Buch wurde ausgewechselt und durch didaktisches Material zur Verwendung im Unterricht ergänzt. Vielleicht wären ein genereller, kritischer Blick auf die Geschichtsbücher in unseren Ländern und die Formulierung neuer Empfehlungen für die Autoren und Herausgeber nützlich? Unwesentlich ist dabei, dass dies schon vor einigen Jahren gemacht wurde.

Zu dieser Sache muss man regelmäßig zurückkehren. Ist nicht im Grunde genommen die Situation in Deutschland und Polen ähnlich? Hier wie dort hängt sehr viel von den Lehrern ab, von ihrem Wissen, ihrer Sensibilität und schließlich – und nicht zuletzt – von der Bereitschaft, sich die Mühe zu machen, bei der Arbeit mit den Schülern ausgetretene Pfade zu verlassen.

Vgl.

Katarzyna Woniak: Niemiecka okupacja Polski w niemieckich podręcznikach szkolnych (Die deutsche Okkupation Polens in deutschen Schulbüchern), in: „Fikcyjna rzeczywistość“. Codzienność, światy przeżywane i pamięć niemieckiej okupacji w Polsce („Fiktive Wirklichkeit“. Alltag, Erlebniswelten und Erinnerungen an die deutsche Besatzung in Polen), hrsg. von Robert Traba, Katarzyna Woniak und Anna Wolff-Powęska, Warszawa-Berlin 2016, S. 281-307;

Internetportal: Polen in der Schule;

Übers. von Yulija Haryst und Johannes Kleinmann (Praktikanten DPI)

O autorze

Krzysztof Ruchniewicz

professor of modern history, blogger - @blogihistoria and podcaster - @2hist1mikr. Personal opinion

komentarze

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  • Ich bin dankbar für den Blog-Eintrag von K. Ruchniewicz und auch für den Kommentar von M. Demantowsky. Der kritische Blick auf Schulbücher und die Schulbuchforschung sind unverzichtbar. Die im Lauf der Jahre entstandene Kompetenz in der Schulbuchforschung und den gemeinsamen Kommissionen ist in Bezug auf digitale Medien im Unterricht nicht weniger zutreffend als auf Schulbücher. Der Befund, dass bereits erzielte Erkenntnisse nicht den Weg ins Geschichte-Schulbuch finden oder daraus wieder verschwinden ist ernüchternd, kann aber nur bedeuten, nicht locker zu lassen.

  • Die klassische Schulbuchanalyse im digitalen Wandel – aus der Mode, aus dem Sinn?

    Im Blog von Krzysztof wird ein eminent wichtiges Thema angesprochen, und vielleicht ist die herkömmliche, von manchen schon als altbacken apostrophierte Schulbuchforschung – der themenbezogene, auch kleinteilige analytische internationale Vergleich von gedruckten Schulbuchdarstellungen – in den vergangenen Jahren tatsächlich viel zu kurz gekommen.

    Zuletzt haben die Forschungen von Kühberger/Bernhard (1) eindrücklich nochmals dokumentiert, was jeder weiss, der Schulzimmer regelmässig von innen sieht: Das Schulbuch als Leitmedium des Geschichtsunterrichts (2) hat nach wie vor eine absolut dominante Rolle inne, auch wenn seit Jahren viel über die grossen neuen Möglichkeiten digitaler Tools gesprochen wird. Dafür gibt es viele Gründe, die bei den Lehrpersonen und ihren Grundüberzeugungen liegen mögen, die bei der Schulverwaltung liegen oder in der technischen Nicht-Ausstattung der Räumlichkeiten. Ein wichtiger Grund scheint mir aber doch auch ein anderer zu sein: Das aus Quellen und Darstellungen unterschiedlicher medialer Formatierung kombinierte Schulbuch kommt den Anforderungen heutigen Geschichtsunterrichts doch strukturell sehr stark entgegen. Es gibt eine tradierte Affinität des üblichen, lehrpersonenzentrierten Geschichtsunterrichts zum Schulgeschichtsbuch. Mögen sich die Lehrpersonen, die Schulverwaltungen und die Ausstattungen vielleicht auch bald gravierend ändern – solange der übliche Geschichtsunterrichts bleibt wie er ist, solange wird das Schulgeschichtsbuch seine Leitrolle nicht einbüssen.
    Das Aufkommen digitaler Versionen herkömmlicher Schulgeschichtsbücher ist da kein Gegenargument, sondern bestärkt nur die These.

    Weil das nun so ist, darf die klassische Schulbuchforschung auch in Zeiten des digitalen Wandels nicht vernachlässigt werden. Forschungsressourcen werden sich dafür unter dem Signum der Innovativität zwar nicht oder nur sehr schwer einwerben lassen, aber es besteht aus meiner Sicht die schlichte Verantwortung für alle Expert_innen, dennoch auf diesem Forschungsfeld nicht nachzulassen.

    Die Zusammenhänge die Krzysztof oben aufzeigt sind ein hervorragendes Exempel, das sich mühelos durch weitere ergänzen liesse. Kollektives Bewusstsein wird immer noch sehr stark über das staatlich approbierte Schulgeschichtsbuch mit seinen offiziösen Erzählungen gemacht. Umgekehrt kann man deshalb nach wie vor aus diesen offiziösen Darstellungen schliessen, was als Standard in einer Referenzgemeinschaft (i.d.R. einer Nation) für normal gilt und in Prüfungen als richtig bewertet werden kann. Und was deshalb zu Recht auch skandalisiert wird, wenn nötig.

    Gut, also dass uns diese unsägliche Formulierung in der der Gegenwart der polnisch-deutschen Geschichte bewusst gemacht worden ist. Schlecht, dass wir noch mehr solcher alarmierenden Funde vermuten müssen. Schlecht auch, dass von deutscher Seite für solche Analysen zu wenig investiert wurde.

    Anmerkungen
    (1) Vortrag an der PH Klagenfurt am 22.9.2017 – http://www.ph-kaernten.ac.at/fileadmin/media/REE/Programmfolder_Tagung_GDÖ_2017.pdf
    (2) Dazu mehr bei Bernd Schönemann/Holger Thünemann: Schulbucharbeit: Das Geschichtslehrbuch in der Unterrichtspraxis. Schwalbach/Ts. 2010.

Krzysztof Ruchniewicz

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