„Bene Merito“ für Markus Krzoska

Gestern fand in der polnischen Botschaft in Berlin die feierliche Verleihung des Abzeichens des polnischen Außenministers „Bene Merito“ an Prof. Markus Krzoska statt. Das Abzeichen überreichte seine Exzellenz, der Botschafter der Republik Polen in Deutschland, Dr. Jerzy Margański. An der Verleihung nahmen zahlreiche Freunde und Bekannte des Geehrten teil. Ich bin gebeten worden, die Laudatio zu übernehmen, was ich mit großer Freude getan habe. Mich und Markus verbinden langjährige Freundschaft und Zusammenarbeit. Ich freue mich, dass seine Aufgeschlossenheit und das Interesse für die polnischen und/oder deutsch-polnischen Fragen, gute Kontakte mit den Polen, aber auch seine Publikationen über Polen auf diese Weise anerkannt und in Erinnerung gerufen wurden (nachstehend drucke ich die deutsche Fassung meiner Rede ab).

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1996 veröffentlichte der Verein zur Förderung deutsch-polnischer Kontakte Mainz eine Auswahl Prosa junger Autoren aus Polen unter dem Titel „Grenzen überschreiten“. Die Herausgeber teilten die Texte in vier Kapitel auf. Es waren: „Schatten der Geschichte“, „Alltag im Wandel“, „Erfahrungen in der Fremde“ und „Dialog mit dem Irrealen“. Meine Aufmerksamkeit weckte ein Text im ersten Teil. Sein Autor war der bekannte Kolumnist der „Gazeta Wyborcza“, geboren in Katowice / Kattowitz 1955, Michał Ogórek. Der Text trug den Titel „Amnesie“. Ein alter Mann, Adam Polak, verlor wegen eines Sturzes auf der Strasse sein Gedächtnis.

Er wusste nicht, woher er kam und wohin er gehen wollte, wie er hiess, wo er sich befand und weshalb (S. 15).

Der Polizei ist es gelungen zu ermitteln, dass er eine Frau, Kinder und Freunde hatte. Er erkannte sie nicht. Die Fotos aus der Vergangenheit halfen auch nicht. Der Neurologie-Professor, der sich um Adam kümmerte, schlug vor, unterschiedliche Ereignisse aus dem Leben von Adam in Erinnerung zu rufen.

In Fällen von Amnesie kehrt das Gedächtnis – behauptete der Arzt – von hinten her, von Anfang an zurück. Man kann sich an nichts erinnern, wenn man nicht weiß, was vorher war (S. 15).

Unser Protagonist wurde mit den Aussagen seiner Verwandten und Freunde in den nächsten Tagen konfrontiert. Wir erfahren, dass Adam ein Gutsbesitzer in den polnischen Ostgebieten (Kresy) war. Nach dem Angriff der UdSSR auf Polen am 17. September 1939 wurde er mit seiner Familie nach Kasachstan deportiert. Nach Polen kehrte er nach 1945 zurück, allerdings konnte keiner die näheren Umstände nennen. Wahrscheinlich kämpfte er in den Partisanenverbänden, wo er verletzt wurde. Die Narben an seinem Körper gaben Zeugnis davon.

Dann flüchtete er nach Niederschlesien, um sich von der Verhaftung durch die Kommunisten zu retten. Eine Zeit lang hatte er einen Posten eines Starosten inne, auf diese Weise wollte er seine Vergangenheit verstecken. Allerdings wurde er von den Kommunisten doch verhaftet und ins Gefängnis geliefert. Dort wurde er tagelang verhört, gar gefoltert, um seine Aussagen zu erpressen. Nach einigen Jahren verliess Adam das Gefängnis und wohnte in unterschiedlichen Städten. Er gründete eine Familie und versuchte ein sogen. normales Leben zu führen.

Trotz der Anstrengungen der Ärzte und der Nächsten hat der Patient sein Gedächtnis nicht wiederbekommen. Die erzählten Geschichte sagten ihm nichts, es nahm bei ihm das Gefühl der Desorientierung und Unsicherheit allmählich zu.

Weil er körperlich gesund war, wurde Adam Polak nach ein paar Wochen aus dem Krankenhaus entlassen. Er lebt weiter, obwohl er nicht genau weiss, wo und nicht sagen kann, woher er gekommen ist. Er quält sich. Er fragt Leute aus: er würde so gerne etwas über sich erfahren (S. 25).

Warum rufe ich heute die vom Gedächtnisverlust geplagte Person Adam Polaks in Erinnerung? Es gibt dafür mehrere Gründe. Der Autor der Übersetzung war Markus Krzoska, und das Buch wurde vom Verein zur Förderung deutsch-polnischer Kontakte Mainz, einer wichtigen Universitätsstadt, mit der er jahrelang verbunden war, veröffentlicht. Die Erzählung betraf einen tragischen Abschnitt der Geschichte Polens im 20. Jahrhundert, aber auch unsere Probleme mit der Erinnerung daran. Ogórek hat ein Thema gewählt, das in Deutschland fast unbekannt war. Über das Schicksal der Polen im Osten, über die Methoden der Installation des kommunistischen Systems wusste man dort nichts oder nur sehr wenig. Markus Krzoska wusste darüber sehr gut Bescheid. Nicht nur als Übersetzer der schöngeistigen polnischen, sondern oder vor allem der wissenschaftlichen Literatur trug er in den nächsten Jahren viel dazu bei, um diesen Bereich des deutschen Unwissens über den östlichen Nachbarn stark zu verändern.

Es ist für mich eine große Freude und Genugtuung, dass ich mit der Vorbereitung einer Laudatio auf Prof. Markus Krzoska geehrt wurde. Er gehört zu den führenden deutschen Historikern der mittleren Generation, die seit Jahren in den deutsch-polnischen Beziehungen sehr aktiv wirken. Weiter gehört er zu den Mitbegründern und war lange Jahre aktives Mitglied der Redaktion des deutsch-polnischen Jahrbuches, „Inter Finitimos“, eines einzigartigen historischen Projektes dieser Art auf dem deutschen Buchmarkt. Zwei Jahrzehnte lang moderierte er eine Mailinglist „Polhist“, die für viele, die sich mit den polnischen und / oder deutsch-polnischen Fragen beschäftigen, die erste unschätzbare Anlaufstelle für Kontaktaufnahmen war. Für eine ganze Reihe von Forschenden war sie die erste Informationsbörse über wissenschaftliche Projekte und Ereignisse sowie eine wichtige Plattform zum Meinungsaustausch.

Prof. Krzoska nimmt an den wichtigsten Forschungsprojekten teil und ist Autor von zahlreichen Publikationen. Vor wenigen Monaten wurde in einem meinungsbildenden Verlag, dem Schönigh-Verlag in Paderborn, das neueste Buch von ihm veröffentlicht, das erste dieser Art auf dem deutschen Buchmarkt, das der Kulturgeschichte Polens nach 1945 gewidmet ist. Wie ist bei einem deutschen Historiker, der in der zweiten Hälfte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts in Darmstadt geboren wurde, das große Interesse für Polen und unsere Fragen zu erklären?

Markus Krzoska studierte in der zweiten Hälfte der 80er Jahre Geschichte und Politikwissenschaften in Mainz. Als sein spezielles Studien- und Arbeitsgebiet wählte er die Geschichte Ost- und Mitteleuropas. Er absolvierte das „Mainzer Polonicum“, eine berühmte Schmiede deutscher Polonisten. 1992 reichte er die Magisterarbeit unter dem Titel: „Władysław Gomulka und Deutschland“ ein, die er unter der Leitung von Prof. Erwin Oberländer verfasst hatte. Große Teile dieser Arbeit sind später in der Zeitschrift für Osteuropa gedruckt worden. In den nächsten Jahren nahm er an der Realisierung von unterschiedlichen Forschungsprojekten teil, war Stipendiat von vielen Stiftungen und Institutionen. Er vertiefte ständig sein Wissen über Polen und die deutsch-polnischen Fragen.

An dieser Stelle ist es wert, an ausgewählte Forschungsprojekte mit seiner Beteiligung zu erinnern. Unter der Leitung von Prof. Werner Weidenfeld realisierte er das Projekt über Polen und die deutsche Einheit 1989/90 mit. Er war ein der Redakteure der „Bibliographie der deutsch-polnischen Beziehungen“. Zu diesem vierbändigen Werk gibt es bis heute nichts Vergleichbares, es stellt das erste und unumgängliche Nachschlagewerk über das Schrifttum zu den deutsch-polnischen Beziehungen seit dem 19. Jahrhundert dar.

2001 verteidigte Markus Krzoska seine Dissertation unter dem Titel: „Für ein Polen an Oder und Ostsee. Zygmunt Wojciechowski (1900-1955) als Historiker und Publizist“, die er unter der Leitung von Prof. Klaus Zernack, einem der bedeutenden Forscher zur Geschichte Polens und Ostmitteleuropas, geschrieben hat. Es war die erste Biographie eines der bedeutendsten polnischen Forscher, der sich mit den Fragen der polnischen Westgebiete beschäftigte, und gleichzeitig des Gründungsdirektors des Westinstituts in Poznan / Posen. Die Dissertation wurde im Fibre Verlag in Osnabrück gedruckt (und ist heute im Internet zugänglich). Bis heute verlor diese Biographie nicht an Aktualität, ihre schnelle Übersetzung und Druck auf Polnisch sind sehr wünschens- und empfehlenswert.

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In den nächsten Jahren arbeitete Markus Krzoska in unterschiedlichen Forschungsinstituten. Er sammelte Erfahrungen, auch die Materialien zu seiner Habilschrift. Aktiv arbeitete er als Manager der deutsch-polnischen Kontakte. Ausgezeichnete Kenntnisse der polnischen Sprache hatten zur Folge, dass er zu einem bekannten, geschätzten und viel gefragten Übersetzer der polnischen Literatur, nicht nur der Fachliteratur wurde. In den Jahren 2008-2012 arbeitete er am Historischen Institut der Universität in Giessen. Dort fand im Dezember 2012 sein Habilitationskolloquium statt. Die Grundlage bildete das Studium unter dem Titel: „Polen seit 1945. Eine Kultur- und Gesellschaftsgeschichte“.

Seit einiger Zeit kann man in den Forschungsarbeiten von Prof. Krzoska eine gewisse Akzentveränderung beobachten. Er interessiert sich immer mehr für die Fragen der Umweltgeschichte und Geschichte der Tiere (Human-Animal-Studies). Allerdings bleibt er den polnischen bzw. den deutsch-polnischen Themen treu. Seit 2014 realisiert er ein neues Forschungsprojekt unter dem Titel: „Białowieża-Nationalpark“.

Michał Ogórek hat seine Erzählung, in der er die Dilemma eines mit Gedächtnisverlust geplagten Mannes auf überzeugende Art und Weise beschrieb, mit „Amnesie“ betitelt. Auch in der Geschichte Polens und den deutsch-polnischen Beziehungen spielte (und immer noch spielt) die Erinnerung eine wesentliche Rolle. Die Erzählung von Ogórek endet nicht mit einem Happy End. Sein Protagonist verliert zusammen mit dem Verlust des Gedächtnisses und Wissens über sich selbst gleichzeitig einen Teil seines Menschseins. Ohne Erinnerung kann man nicht Leben. Die Erinnerung brauchen einzelne Menschen, aber auch ganze Gesellschaften und Nationen.

In dem wir die Erinnerungsozeane, die durch unterschiedliche Erinnerungen, mal gegensätzliche, mal unvollständige, manchmal sich ausschliessende, und manchmal sogar falsche geprägt wurden, durchmessen, brauchen wir Navigatoren, Führer und (Sprach-)Vermittler. Zu solchen Personen gehört Markus Krzoska. Die heutige festliche Verleihung des Abzeichens „Bene Merito“ zeigt auch, wie wichtig, gar notwendig es ist, solche Personen zu ehren, an sie besonders zu erinnern. Die Verleihung dieses Ehrenabzeichens ist zweifellos ein Zeichen unserer Erinnerung an die großen Leistungen des Geehrten. Es ist eine symbolische Anerkennung für die langjährigen Anstrengungen und Bemühungen von Prof. Krzoska für die polnischen Fragen und seinen Beitrag zur Vertiefung der deutsch-polnischen Beziehungen auf dem kulturellen und wissenschaftlichen Gebiet. Es wird schliesslich eine Person geehrt, die voller Schöpfungskraft ist, viele neue Pläne hat und weiter verfolgt, dazu sehr bescheiden und kollegial im Umgang mit Freunden und Bekannten ist. Aus diesem Grund werden wir – davon bin ich fest überzeugt – von Markus Krzoska in der Zukunft immer wieder neues hören.

Es bleibt mir abschliessend an Markus, ein geschätzter Freund vieler von uns hier Versammelten, Wünsche zu richten, damit sein Enthusiasmus für die polnischen und/oder deutsch-polnischen Fragen nicht nachlässt und seine laufenden und geplanten Projekte erfolgreich abgeschlossen werden können. Ad multos annos, lieber Markus, ein Hoch auf Dich!

Vgl. auch:

Markus Krzoska: Dankesrede anlässlich der Verdienstmedaille „Bene Merito“ des Außenministers der Republik Polen, Berlin, den 16.9.2015.

GRENZEN ÜBERSCHREITEN. Polens junge Generation erzählt. Hrsg. vom Verein zur Förderung deutsch-polnischer Kontakte Mainz. München: Boer 1996. 173 S. Enthält Texte von Krzysztof Bielecki, Izabela Filipiak, Natasza Goerke, Manuela Gretkowska, Mirosław Jasiński, Michał Ogórek, Krzysztof Rejmer, Sławomir Sadowski, Mirosław Spychalski, Andrzej Stasiuk, Jerzy Zachara. Übers. von Jan Conrad, Jutta Conrad, Lorenz Frank, Elvira Joschko, Markus Krzoska, Alina Molisak, Agata Przyborowska-Stolz, Anna Śliwa, Peter Tokarski.

O autorze

Krzysztof Ruchniewicz

professor of modern history, blogger - @blogihistoria and podcaster - @2hist1mikr. Personal opinion

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